Sprendlingen (Rheinland-Pfalz)

Datei:Rheinhessen 1905.pngBildergebnis für Kreis Mainz Bingen ortsdienst karte Sprendlingen ist seit 1972 ein Teil bzw. Sitz der Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen (Kreis Mainz-Bingen), der zehn eigenständige Ortsgemeinden mit derzeit insgesamt ca. 4.300 Einwohnern angehören - ca. 15 Kilometer südlich von Bingen gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org CCO und Kartenskizze 'Landkreis Mainz-Bingen' ohne Eintrag von Sprendlingen-Gensingen, aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/landkreis-mainz-bingen).

 

Im 17.Jahrhundert sollen sich einige jüdische Familien im Ort aufgehalten haben, wenn auch nicht dauerhaft. Jüdische Einwohner im kurpfälzischen Sprendlingen werden erneut um 1765 erwähnt; die sich nun rasch bildende Gemeinde erreichte knapp 100 Jahre später mit fast 180 Angehörigen ihren Höchststand. Im Jahre 1825 konnte die Gemeinde ihr neues Bethaus Ecke Synagogengasse/St. Gertrudenstraße einweihen; zuvor fanden gottesdienstliche Zusammenkünfte in einer kleinen Betstube eines Privathauses statt.                                  

                                                           Skizze der Synagoge in Sprendlingen

Die rituellen Aufgaben wurden von einem von der Gemeinde angestellten Lehrer wahrgenommen. Die jüdische Schule mit Lehrerwohnung befand sich vermutlich im angrenzenden Gebäude.

  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2090/Sprendlingen%20Israelit%2018121893r.jpg  aus: „Der Israelit” vom 18.Dez. 1893 und 3.Sept. 1900

              Anlässlich des 100jährigen Synagogenjubiläums erschien in der „Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 24.4.1925 die folgende Notiz:

Synagogen-Jubiläum

in Sprendlingen. Dem Mainzer Anzeiger vom 7.April entnehmen wir: Anläßlich des hundertjährigen Bestehens der Synagoge fand am Sonntag unter Beteiligung der gesamten Bevölkerung und Anwesenheit des Bürgermeisters und der beiden Beigeordneten sowie den Geistlichen beider Konfessionen ein erhebender Festgottesdienst statt. Die Synagoge war herrlich geschmückt und bis auf den letzten Platz auch durch Gäste aus umliegenden Ortschaften gefüllt. Nach einem kurzen Gebet hielt Herr Kreisrabbiner Dr.Appel-Bingen eine tiefempfundene Rede. Mit dem Gebet für das Wohl der Gemeinde und des Vaterlandes schloß die würdige Feier. ... Möge die Einigkeit in unserer Gemeinde immerwährend fortbestehen.

 

Bereits gegen Ende des 18.Jahrhunderts ist eine erste jüdische Begräbnisstätte (Badenheimer Straße) erwähnt. Um 1870 erfolgte in unmittelbarer Nähe des Kommunalfriedhofs die Anlage eines neuen israelitischen Beerdigungsgeländes.

Die Gemeinde Sprendlingen war dem Rabbinat Bingen zugeordnet.

Juden in Sprendlingen:

         --- 1804/05 .........................  65 Juden,

    --- 1824 ........................ ca. 130   “  ,*   * incl. St. Johann

    --- 1832 ............................ 132   “  ,

    --- 1861 ............................ 177   “   (ca. 9% d. Bevölk.),

    --- 1880 ............................ 146   “  ,

    --- 1900 ............................ 127   “   (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1910 ............................  74   “  ,

    --- 1925/30 ..................... ca.  40   “  ,

    --- 1939 ............................  15   “  .

Angaben aus: Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff, Synagogen. Rheinland-Pfalz und Saarland, S. 356

 

Noch vor der NS-Machtübernahme 1933 hatte sich die jüdische Gemeinde in Sprendlingen aufgelöst. Obwohl die Synagoge bereits seit Anfang der 1930er Jahre nicht mehr zu gottesdienstlichen Anlässen genutzt wurde, verwüsteten NS-Sympathisanten während der Novembertage 1938 das Gebäude. Ein Jahr später war das einstige Synagogengebäude in eine Tischler-Werkstatt 'umfunktioniert'.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20388/Sprendlingen%20KK%20MZ%20Bayerthal%20Hugo.jpgJ-Kennkarte eines gebürtigen Sprendlinger Juden - ausgestellt in Mainz 1939

Die letzten jüdischen Ortsbewohner wurden 1941/1942 deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 25 aus Sprendlingen stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene Juden Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/sprendlingen_synagoge.htm).

 

Friedhof und Synagogengebäude sind bis heute erhalten geblieben.

Auf dem jüdischen Begräbnisgelände - es besitzt eine Fläche von ca. 600 m² - befinden sich heute ca. 80 Grabsteine, die aus den Jahrzehnten nach 1870 stammen.

Teilansichten der Begräbnisstätte (Aufn. LieselRHH, 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Eine Hinweistafel am Friedhof informiert wir folgt: „Der ursprüngliche (sc. christliche) Sprendlinger Friedhof lag als klassischer Kirchhof um die heutige evangelische Michaelskirche in der Ortsmitte. Durch verschiedene Vorschriften zum Bestattungswesen wurde dieser Friedhof in der ersten Hälfte des 19. Jh. an die Gewann 'an der Schmidtpforte' (heute Kreuznacher Straße) verlegt. Auch der jüdische Friedhof (1786/89 erwähnt), der sich zuvor hinter dem Gasthaus 'Bauernschänke' vor der südlichen Ortsmauer befand, wurde dorthin verlagert und 1839 erstmals belegt. Durch späterer Erweiterung ist er nun von christlichen Begräbnisstätten umschlossen..." 

Seit 1978 ist am Synagogengebäude eine Gedenktafel mit folgenden Worten angebracht:

Ehemalige Synagoge der früheren Gemeinde Sprendlingen

eingeweiht am 19.März 1825

zerstört und geplündert in der ‘Reichskristallnacht’ am 9.November 1938

9.November 1938        SHALOM FRIEDE       9. November 1978

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2061/Sprendlingen%20Synagoge%20107.jpgDie Berggasse erhielt wieder ihren ursprünglichen Namen „Synagogengasse“ zurück.

Mitte der 1990er Jahre erwarb die Kommune das seit 1984 unter Denkmalschutz stehende Gebäude. Wenige Jahre später wurde das Haus mit hohem Kostenaufwand grundlegend saniert und im Frühjahr 2004 der Öffentlichkeit übergeben; es dient heute kulturellen Zwecken.

           Ehem. Synagoge nach der Sanierung (Aufn. J. Hahn, 2005)

2009 wurde damit begonnen, sog. „Stolpersteine“ zu verlegen, die an Angehörige von jüdischen Familien erinnern sollen, die während der NS-Zeit vertrieben, verfolgt, deportiert und ermordet wurden.

Stolperstein für Julie Landsberg geb. SimonStolperstein für Otto LandsbergStolperstein für Else Landsberg geb. Wolfverlegt St. Johannerstraße (Aufn. Gmbo, 2018, aus: wikipedia.org, CCO)

Gau-Bickelheimerstr. Stolperstein für Clara KoppelStolperstein für Margot KoppelStolperstein für Friedrich SternStolperstein für Berta Stern geb. RosenthalStolperstein für Ferdinand Stern

 

 

 

Weitere Informationen:

Hermann Josef Wagner, Die Sprendlinger Synagoge, in: "Heimat am Mittelrhein", No.2/1957

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 264/265

Josef Loos, Gedenktafel an der ehemaligen jüdischen Synagoge in Sprendlingen, in: "Heimatjahrbuch Landkreis Mainz-Bingen 1981"

Sprendlingen (Rheinland-Pfalz), in: alemannia-judaica.de

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “ . Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 356/357

Bernhard Brühl (Red.),Stolpersteine gegen Gleichgültigkeit - Erste Messingplatten in Sprendlingen verlegt/Erinnerung an jüdische Mitbürger, in: „Allgemeine Zeitung“ vom 31.3.2009

Bernhard Brühl (Red.), 2. Stolpersteineverlegung in Sprendlingen, in: „Allgemeine Zeitung“ vom 6.7.2012

Stefan Grathoff (Bearb.), Die Sprendlinger Synagoge, online abrufbar unter: regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprendlingen/kulturdenkmaeler vom 17.11.2014

Auflistung der in Sprendlingen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Sprendlingen

Bernhard Brühl (Red.), Jüdisches Erbe auf Sprendlinger Friedhof voll bewahrt werden, in: „Allgemeine Zeitung“ vom 17.8.2020