Norden/Ostfriesland (Niedersachsen)

 Landdrostei Aurich – WikipediaDatei:Norden in AUR.svg Norden mit seinen derzeit ca. 25.000 Einwohnern ist eine im Landkreis Aurich/Ostfriesland gelegene Stadt unweit der Nordseeküste - ca. 25 Kilometer nördlich von Emden (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Aurich', aus: TUBS 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Abb. O., 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0

Norden gehört zu den ältesten jüdischen Siedlungsorten in Ostfriesland. Nach Emden war die Nordener Synagogengemeinde Anfang der 1930er Jahre die größte in Ostfriesland und im Oldenburger Land.

 Durch den Schiffshandel kam im Laufe des 16. Jahrhunderts die wirtschaftliche Entwicklung Nordens in Schwung, wodurch die Stadt auch für jüdische Händler attraktiv wurde (Abb. Norden um 1590, aus: wikipedia.org, gemeinfrei). Ein Schutzbrief Edzard II. von 1591 ist ein erstes Dokument für die Anwesenheit von Juden in Norden. Gegen eine Ansiedlung von jüdischen Familien in Norden wehrten sich aber die hiesigen Zünfte/Gilden vehement, weil sie in den Juden eine unliebsame Konkurrenz sahen. Doch die Landesherrschaft setzte sich gegen sie durch. Der erste nachweisbare landesherrliche Schutzbrief Ostfrieslands stammt aus dem Jahre 1615 und wurde ausschließlich für die in der Stadt Norden ansässigen jüdischen Familien ausgestellt. Um 1570 soll bereits eine jüdische Begräbnisstätte in Norden angelegt worden sein; so kann davon ausgegangen werden, dass zu dieser Zeit hier etliche jüdische Familien ansässig gewesen sein müssen. Als Ostfriesland 1744 an Preußen fiel, bestand in Norden bereits eine etablierte Gemeinde, die sich aus mehr als 40 Familien zusammensetzte. Versuche der preußischen Regierung, die Zahl der jüdischen Familien auf 16 zu beschränken, scheiterten. Wirtschaftlich gab es große Unterschiede innerhalb der Nordener Judenschaft; neben der sehr vermögenden Familie des Kornhändlers Abraham J. Bargebuhr lebte eine Reihe jüdischer Familien in großer Armut.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8f/NordenOstfrieslandUm1845.jpg Norden um 1850 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts kristallisierte sich in Norden „In der Judenlohne“ ein jüdisches Gemeindezentrum heraus; dort soll sich auch die alte Synagoge befunden haben. 1804 weihte die auf fast 200 Personen angewachsene Gemeinde Nordens ihre neue große Synagoge ein; ihr angeschlossen waren ein Wohnhaus für den Rabbiner und ein Schulgebäude; in Kellerräumen befand sich eine Mikwe. Dieser Gebäudekomplex war für mehr als ein Jahrhundert das Zentrum der Synagogengemeinde.

                                          Aquarellzeichnung von Horst Richter (1996)

Tor zum Synagogengrundstück, 1929 (aus: commons.wikimedia.org, CCO)

Über das 50jährige Synagogenjubiläum berichtete die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ am 15. Januar 1855 wie folgt:

Norden, Ende December (Privatmitth.) Am Freitage, den 22. d.M. (1. Tewet) feierte die hiesige jüdische Gemeinde ein seltenes Fest: das fünfzigjährige Jubiläum der Synagogenweihe! Die Synagoge war von Außen und Innen herrlich decorirt mit Bogen, Guirlanden, Kronen und glänzend beleuchtet. Von Außen am Eingange prangte in transparenter Beleuchtung die Inschrift in hebräischer Sprache: Es ist ein Jubelfest, das fünfzigste Jahr! 'O Herr! lasse dein Antlitz strahlen über diesen Tempel!' Über des Tempels Pforten von Innen stand die Inschrift aus Psalm 100 Vs. 4.    
Nachmittags 2 1/2 Uhr füllte sich der Tempel mit den festlich geschmückten Andächtigen aller Confessionen. Es wurden mehrere Psalmen, theils vom Vorsänger Herrn Friedberg wacker vorgetragen, theils von Vorsänger und Gemeinde in  Responsen gesungen; das Dankgebet und die sehr gehaltvolle Predigt wurde vom Oberlehrer Herrn
Emanuel über Jesch. 6,1 - 5 gehalten. Der Gottesdienst dauerte, den Sabbath-Abend-Gottesdienst einschließend, bis 6 Uhr, und wird der erbauende Eindruck im Herzen derer, welche der feierlichen Handlung beigewohnt, noch lange wohlthuend verbleiben."

   

aus: „Allgem. Zeitung des Judentums“ vom 28.5.1842, „Der Israelit“ vom 26.2.1891 u. „Allgem. Zeitung des Judentums“ vom 30.8.1895

Nahe der Synagoge war die jüdische Elementarschule untergebracht; im Laufe der Jahrzehnte nahm die Schülerzahl ab, da weiterführende Ortsschulen die jüdischen Kinder aufgenommen hatten; nur Religionsunterricht wurde noch vom gemeindeeigenen Lehrer erteilt.

undefined Ehem. jüdisches Schulgebäude (Aufn. P. 2006, aus: wikipedia.org CC BY-SA 3.0)

Auf der seit ca. 1570 bestehenden Friedhofsanlage - im Laufe ihres Bestehens mehrfach erweitert - wurden über einen Zeitraum von fast vier Jahrhunderten Angehörige der Synagogengemeinde Norden beerdigt: Das Areal mit alten Bäumen weist heute noch mehr als 350 Grabsteine auf; der Friedhof gilt als eines der ältesten jüdischen Kulturdenkmale Ostfrieslands. Der jüdische Friedhof in Norden war zeitweise auch für die in Aurich, Emden, Esens und Wittmund lebenden Juden die Begräbnisstätte.  

Jüdischer Friedhof (Aufn. M. Süßen, 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Zur Synagogengemeinde gehörten auch die Juden von Hage, Marienhafe, Westerend und Norderney.

Juden in Norden:

         --- um 1640 .................... ca.  10 jüdische Familien,

    --- um 1660 ........................  22     “       “    ,

    --- um 1745 ........................  44     “       “    ,

    --- um 1780 ........................  44     “       “    ,

    --- 1802/04 ........................ 193 Juden,

    --- 1829 ........................... 219   “  ,

    --- 1867 ........................... 314   “   (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1885 ........................... 253   “  ,

    --- 1905 ........................... 286   “  ,

    --- 1910 ........................... 296   “  ,

    --- 1925 ........................... 231   “  ,*          *  im Amt Norden 362 J.

    --- 1933 ........................... 316   “  ,**         ** Kreis Norden

    --- 1939 (Sept.) ...................  79   “  ,

    --- 1940 (April) ...................  11   “  ,

    --- 1941 ...........................  keine.

Angaben aus: Zvi Asaria, Die Juden in Niedersachsen, S. 320

und                 Das Ende der Juden in Ostfriesland, Ausstellung der Ostfriesischen Landschaft ..., Aurich 1988, S. 60  

 

undefined Osterstraße in Norden, um 1920 (Aufn. aus: wikipedia.org Bild-PD-alt)

Im Gegensatz zu den anderen Orten Ostfrieslands sah sich die jüdische Gemeinde in Norden mit einem offenen Antisemitismus konfrontiert, der nach dem verstärkten Zuzug von polnischen und russischen Juden in Folge der Pogrome der 1880er Jahre sich manifestierte; so sollen Gerüchte die Runde gemacht haben, wonach zugezogene Juden die Cholera übertragen würden. Die antisemitische Stimmung in Norden dürfte dazu beigetragen haben, dass der Zionismus hier Anhänger fand und sich über Ostfriesland ausbreitete.

Norden. Unsere ostfriesischen Juden, ein körperlich und geistig kerngesunder Stamm, welcher aus spagnolischer und aschkenasischer Mischung hervorgegangen ist, hatte vor einigen Tagen zum erstenmale Gelegenheit, vom Zionismus zu hören und sich für ihn zu begeistern. Herr Dr. Loewe aus Jaffa, der Palästina schon oft in allen seinen Teilen bereist hat, hielt hier einen ebenso glänzenden wie interessanten Vortrag über „Palästina, Land und Leute“. Kein Mitglied der Gemeinde versäumte es, dem „Esra“, in dessen Namen der Propagandavortrag stattfand, beizutreten, zum Theil mit sehr namhaften Beiträgen. Herr Dr. Loewe wird morgen in zwei anderen Städten Ostfrieslands jüdisch-nationale Beiträge Vorträge halten, um dann die zionistische Propaganda nach den Niederlanden zu tragen. Die Furcht vor dem bösen Zionismus, die geflissentlich von gewissen Rabbinern in's Volk getragen wurde, ist hier unbekannt. Gleichwohl darf man diese Erfolge umso weniger unterschätzen, als sie die Grundlage einer nach Westfriesland und Holland gerichteten Agitation sein werden. Wir wünschen dem Rufer im Streite weiteren guten Erfolg.

(aus: "Die Welt", Jahrg. 1, Heft 28 vom 10. Dez. 1897)

Die meisten Nordener Juden arbeiteten zu Beginn des 20.Jahrhunderts als Viehhändler; Mitte der 1920er Jahre sollen in der Stadt mehr als 30 Familien ihr Brot mit Viehhandel verdient haben; damit stellten sie einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor in der Stadt dar. Die Synagogengemeinde verfügte über eine Reihe von Vereinen/Organisationen; neben Wohltätigkeits- gab es auch Kultur- und Sportvereine.

In den 1920er Jahren fanden rechts-nationale Kreise in der Nordener Gesellschaft zunehmend Gehör; dem Ortsverein des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes“ folgte alsbald eine NSDAP-Ortsgruppe, die mit ihren Parolen bei Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung stieß, wie Wahlergebnisse von 1928 und 1930 zeigten. Einer der wortgewaltigsten rechtsnationalen, antisemitischen Propagandisten war der ehemaligen Borkumer Pfarrer Münchmeyer. Seine Reden müssen sehr „beeindruckt“ haben; in Zeitungsanzeigen wurde nun immer häufiger zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen.

Die jüdische Bevölkerung Nordens zählte um 1933 mehr als 100 Familien; diese wohnten vor allem in der Sielstraße, Herings- und Uferstraße und an dem Neuenweg; mehr als 40 Geschäfte bzw. Handelsbetriebe, vor allem Viehhandlungen wurden damals von ihnen geführt. Zu ersten gewalttätigen Ausschreitungen der SA gegenüber einzelne Juden kam es im Frühjahr 1933; man schleppte die betroffenen Männer ins SA-Sturmlokal „Börse”, um sie dort zu misshandeln.

                 Aus dem „Ostfriesischen Kurier” vom 29.3.1933:

Die Folgen der Hetze gegen Deutschland

Alle jüdischen Geschäfte Nordens geschlossen - SA. verbrennt Schächtmesser

Alle jüdischen Geschäfte Nordens wurden am gestrigen Dienstagnachmittag durch SS.-Leute auf Veranlassung der Sturmführers Bier geschlossen mit der Maßgabe, nicht eher wieder zu öffnen, als bis die Lügenpropaganda des internationalen Judentums gegen Deutschland im Auslande wieder aufgehört habe. Von der Maßnahme wurden nicht nur offene Ladengeschäfte, sondern auch Großhandelsfirmen und die freien Berufe betroffen. ... Im Anschluß an die Schließung der Geschäfte brachten die SS.-Leute auf dem Markte vor der “Börse” sämtliche Schächtmesser Nordens ... zusammen. Dort wurde ein Scheiterhaufen errichtet, um diese Dinge zu verbrennen. ...

                 Wenige Tage später war in der „Ostfriesischen Tageszeitung” zu lesen:

                                           

Boykott den Juden Wie überall im ganzen Reich wurden am Sonnabend auch in Norden die Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte durchgeführt. Bereits in den ersten Vormittagsstunden herrschte in der Oster- und Hindenburgstraße ein lebhafter Verkehr. Die neugierigen und auf Sensation erpichten Zuschauer kamen jedoch nicht auf ihre Kosten, wenn sie gehofft hatten, Gesetzlosigkeiten gegen jüdische Geschäfte zu erleben. Die notwendigen Maßnahmen wie Aufzug der Posten und Aushang der schwarz-gelben Plakate zur Kennzeichnung der Judengeschäfte wurden von der SA. und der SS. in völliger Ruhe und Disziplin vorgenommen. ... In Anbetracht dessen, daß die berechtigte Erbitterung der Norder SA.- und SS.-Männer gegen die jüdischen Einwohner aus vielen Gründen besonders groß ist, darf es als ein Zeichen höchster Disziplin gewertet werden, wenn die ganze Aktion in Norden ohne jeglichen Zwischenfall verlief.

 

Der jüdische Bevölkerungsteil wurde in den folgenden Jahren verstärkt ausgegrenzt; in einer Anzeige in der „Ostfriesischen Tageszeitung” vom Juli 1935 wurden namentlich jüdische Geschäftsinhaber genannt, die von den deutschen „Volksgenossen“ gemieden werden sollten. Auch jüdische „Rasseschänder” und ihre „Opfer“ wurden 1935 in Norden durch die Straßen getrieben und öffentlich zur Schau gestellt.

              „Ich bin ein deutsches Mädchen und habe mich vom Juden schänden lassen“ - eine Aufnahme aus Norden (aus: "Ostfriesische Tageszeitung" vom  24.7.1935)

Der Novemberpogrom von 1938 wurde in Norden durch Sirenengeheul angekündigt; die Nordener Synagoge soll durch einen Feuerwehrmann in Brand gesetzt worden sein. Alle jüdischen Bürger wurden aus ihren Häusern geholt und im Schlachthof vorübergehend eingesperrt; dort wurden sie von SA-Männern gedemütigt und gequält. Andere SA-Angehörige zogen zu den Wohnungen ihrer Opfer, raubten Geld und Wertgegenstände und zerschlugen die Einrichtungen. Insgesamt sollen die „Beschlagnahmen“ Bargeld und Sachwerte von ca. 150.000 RM betragen haben. Am nächsten Tag mussten die Männer die Trümmer der ausgebrannten Synagoge beseitigen. Als die Ehefrauen ihren dort arbeitenden Männern Essen bringen wollten, sollen SA-Leute das Essen vor ihren Augen in den Schutt gekippt haben. Wenige Tage später wurden die meisten Männer ins KZ Sachsenhausen eingeliefert.

Im Laufe des Jahres 1941 wurden die letzten noch in Norden verbliebenen Juden deportiert. Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sollen mindestens 195 Juden aus Norden, Hage und Marienhafe in den Ghetto- und Vernichtungslagern Osteuropas ums Leben gekommen sein (vgl. dazu namentliche Nennung der Opfer in: alemannia-judaica.de/norden_synagoge.htm).

Gegen die Hauptverantwortlichen des Novemberpogroms in Norden wurden 1948 und 1951 Gerichtsverfahren geführt, die mit Freiheitsstrafen geahndet wurden; eine Reihe der Täter wurde freigesprochen.

 

Der Baukomplex des jüdischen Gemeindezentrums in Norden ist - bis auf die Synagoge - erhalten geblieben.

Am Standort der ehemaligen Synagoge - die Grundmauern wurden durch Grabungen wieder freigelegt (Aufn. P., 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0) - ließ die Stadt Norden auf Initiative einer 1985 gegründeten „Ökumenischen Interessen- und Arbeitsgruppe Synagogenweg” eine Gedenkstätte einrichten, in deren Mitte im Jahre 1987 ein Gedenkstein mit der folgenden Inschrift aufgestellt wurde:

Zum Gedenken an die Synagoge der Jüdischen Gemeinde zu Norden, frevelhaft zerstört am 9.November 1938,                    

und an unsere jüdischen Mitbürger, die eines gewaltsamen Todes sterben mußten oder vertrieben wurden.

Zur Erinnerung und zur Mahnung.

Sie steckten in Brand dein Heiligtum, entweihten zu Boden die Wohnung deines Namens. Ps. 74,7

  https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20268/Norden%20Synagogenplatz%20025.jpg

Synagogen-Gedenkstätte mit Inschriftentafel (Aufn. Uwe Karwath, 2009/2010, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)   

    Der Vorhang des Thora-Schreins der ehemaligen Nordener Gemeinde befindet sich in Petach Tikwah (Israel). (Anm.: Petach Tikwa = "Tor der Hoffnung“ wurde als erste jüdische Bauernsiedlung in Palästina gegen Ende des 19.Jahrhunderts gegründet.)

Im Juni 2005 wurde im Rahmen der Veranstaltungen zu „750 Jahre Norden - 400 Jahre jüdische Gemeinde“ ein aus einer wellenartigen zweigeteilten Wand gestaltetes Mahnmal des Künstlers Ricardo Fuhrmann auf dem jüdischen Friedhof aufgestellt; es erinnert an die ca. 200 NS-Opfer der Synagogengemeinde Norden. Unter der folgenden Inschrift sind auf weiteren Messingtafeln die Namen der jüdischen Opfer verzeichnet:

Was vom Hause Juda entronnen und übriggeblieben ist,wird unten wieder Wurzeln schlagen und von oben Frucht ansetzen.

2. Könige, 19,30

Dieses Denkmal gibt auch den unbekannten Toten ihre Namen zurück.

Mahnmal auf dem Friedhof (Aufn. Glewe, 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0) 

Im äußeren Rand des ovalen Platzes sind in gleichmäßigen Abständen zwölf weiße Granitsteine eingelassen, die die zwölf Stämme Israels symbolisieren.

2009 wurden die ersten 14 Gedenktäfelchen im Rahmen der "Aktion Stolpersteine" in Norden verlegt; im Frühjahr 2010 fanden weitere 33 Gedenksteine ihren Platz vor den Wohnsitzen der deportierten und ermordeten Juden. In den Folgejahren wurde die Verlegung seitens der Ökumenischen Arbeitskreises Synagogenweg Norden e.V. fortgesetzt, so dass inzwischen ca. 100 messingfarbene Steinquader in die Gehwegpflasterung der Kleinstadt eingefügt sind (Stand 2023).

 

„Stolpersteine“ in der Heringstraße, Sielstraße und Neuer Weg (Aufn. Fröbel - Ökumenischer Arbeitskreis Synagogenweg Norden e.V.)

  für Fam. Altgenug in der Sielstraße

2013 wurde ein Platz in Norden nach der im Ort geborenen Recha Freier (geb. Schweitzer) benannt. 

 Recha Freier wurde 1892 als Tochter des damals in Norden tätigen Lehrers und Kantors Manasse Schweitzer geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in einer niederschlesischen Kleinstadt. Nach Beendigung ihrer Schulzeit studierte Recha Schweitzer Pädagogik und Volkskunde in Breslau u. München und arbeitete danach als Lehrerin für Deutsch, Französisch und Englisch sowie als Pianistin an höheren Schulen. 1919 heiratete sie den Rabbiner Moritz Freier. Nach mehreren Jahren im Ausland (Sofia/Bulgarien) kehrte die Familie nach Berlin zurück. Ihr Engagement für Kinder u. Jugendliche mosaischen Glaubens war auf deren Auswanderung nach Palästina gerichtet; 1933 hatte sie die „Kinder- und Jugend-Alliyah“ gegründet. 1940 gelang es ihr selbst, Deutschland in Richtung Palästina zu verlassen. In Palästina gründete sie 1941 das „Agricultural Training Centre for Israeli Children“. Diese Institution nahm Kinder aus armen Familien auf und brachte sie in Kibbuzim unter. 1954 schlug Albert Einstein sie vergeblich für den Friedensnobelpreis vor. 1994 starb Recha Freier in Jerusalem.

 

 

Der Synagogengemeinde Norden waren offiziell auch die jüdischen Bewohner der Insel Norderney angeschlossen; doch nahm Norderney dabei eine besondere Stellung ein, denn die Insel-Gemeinschaft war mehr als nur eine Filialgemeinde, doch erlangte diese nie den Status einer autonomen Kultusgemeinde.

[vgl. Norderney (Niedersachsen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Heymann von der Wall, Vorschriften und Gebräuche für den Gottesdienst in der Synagoge zu Norden, Selbstverlag 1913

Zvi Asaria, Die Juden in Niedersachsen, Verlag Gerhard Rautenberg, Leer/Ostfriesland 1979, S. 232 f. und S. 278 f.

Günter Heuzeroth (Hrg.), Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus 1933-1945 dargestellt an den Ereignissen im Oldenburger Land, Band II: Verfolgte aus rassischen Gründen, Zentrum für pädagogische Berufspraxis, Oldenburg 1985, S. 153 f.

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Niedersachsen II (Regierungsbezirk Hannover und Weser-Ems), Pahl-Rugenstein Verlag GmbH, Köln 1986, S. 105

Lina Gödeken, Die Frühzeit der Norder Juden (ca. 1550 - 1602), in: H.Reyer/M.Tielke (Hrg.), Frisia Judaica - Beiträge zur Geschichte der Juden in Ostfriesland, Verlag Ostfriesische Landschaft, Aurich 1988, S. 59 - 76

Lina Gödeken, Das alte jüdische “Zentrum” in Norden. Die Gebäude der jüdischen Gemeinde an der Judenlohne und weiterer Besitz, in: "Ostfriesland", Heft 3/1986, S. 4 ff.

Hans Forster/Günther Schwickert, Norden - Eine Kreisstadt unter dem Hakenkreuz. Dokumente aus der Zeit der Gewaltherrschaft 1933 - 1945, hrg. von den Norder Jungsozialisten und dem SPD-Ortsverein, Norden 1988, S. 144 ff.

Das Ende der Juden in Ostfriesland - Ausstellung der Ostfriesischen Landschaft aus Anlaß des 50.Jahrestages der Kristallnacht, Aurich 1988, S. 60 f.

Heiko Swart, Juden in Norden in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts, in: "Emder Jahrbuch", 70/1990, S. 73 - 81

Horst Reichwein, Die Juden in der ostfriesischen Herrlichkeit Dornum (1662 - 1940). Die Geschichte der Synagogengemeinde Dornum von der Schutzgeldforderung des ostfriesischen Fürsten 1662 bis zur Vertreibung durch die Nationalsozialisten 1940, Dornum 1995

Werner Teuber, Jüdische Viehhändler in Ostfriesland und im nördlichen Emsland 1871 – 1942. Eine vergleichende Studie zu einer jüdischen Berufsgruppe in zwei wirtschaftlich und konfessionell unterschiedlichen Regionen, in: "Schriften des Instituts für Geschichte und Historische Landesforschung", Band 4, Cloppenburg 1995

Lina Gödeken, Rund um die Synagoge in Norden. Die Geschichte der Synagogengemeinde seit 1866, Ostfriesische Landschaftliche Verlags- u. Vertriebsgesellschaft mbH, 2000 (Anm. detaillierte Darstellung)

Hilde De Lowe, Mein Kaleidoskop – Der Lebensweg einer jüdischen Frau aus Norden, Selbstverlag o.J.

Bernhard und Astrid Parisius, „Rassenschande“ in Norden. Zur Geschichte von zwei Fotos, die das Bild Jugendlicher von der NS-Zeit prägen, in: "Ostfreesland – ein Kalender für jedermann", Norden 2004, S. 129 - 137

Daniel Fraenkel (Bearb.), Norden/Norderney, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1122 – 1139

Ökumenische Arbeitsgruppe Synagogenweg Norden (Hrg.), Erinnern - gedenken - hoffen - Unter dem Davidstern, verausgabt aus Anlass der Woche der Begegnung vom 19.-24. Juni 2005 in Norden, Norden 2006

Michael Wildt, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939, Hamburg 2007, S. 234 – 239 und 329/330

Fröbel – Stadt Norden (Red.), Stein bringt Identität zurück – Ehemaliger Norder Dr. Heinz E. Samson initiiert Stolpersteinprojekt in Norden, online abrufbar unter: norden.de (2009)

Almut Holler (Red.), 33 neue Stolpersteine für Norder Juden, in: norden.de (2010)

N.N. (Red.), Heute werden in Norden 33 „Stolpersteine“ verlegt, in: „Emdener Zeitung“ vom 12.4.2010

Ulrike Bertus (Red.), 28 Stolpersteine am 19.2.2011 in Norden verlegt, in: „Ostfriesen-Zeitung“ vom Febr. 2011

Ökumenische Arbeitsgruppe Synagogenweg Norden (Bearb.), Stolpersteine in Norden (Abbildungen der verlegten Steine), in: norden.de

Rolf Uphoff, Reise ohne Wiederkehr – Wege in das Grauen. Die Deportation der letzten jüdischen Bürger Emdens, Nordens und Aurichs, hrg. vom Stadtarchiv Emden, Emden 2011

Norden/Ostfriesland, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie) 

Reise ins jüdische Ostfriesland, Hrg. Ostfriesische Landschaft – Kulturagentur, Aurich 2013

Schüler/innen der BBS II Emden (Bearb.), Von Entrechtung, Arisierung, Deportation und Mord. Das Unrecht an den Norder Juden in Ostfriesland, Schülerarbeit im Rahmen des Geschichtswettbewerbes „Anders sein – Außenseiter der Geschichte“, Koerber Stiftung 2015