Neustettin (Hinterpommern)

Datei:Pommern Kr Neustettin.pngMapa Szczecinek - plan miasta. Zobacz gdzie leży Szczecinek na mapie Polski Das vom pommerschen Herzog zur Stadt erhobene Neustettin fiel Mitte des 17.Jahrhunderts an Brandenburg. Seit 1945 unter polnischer Verwaltung stehend gehört die heutige Kreisstadt Szczecinek mit derzeit ca. 40.000 Einwohnern zur polnischen Woiwodschaft Koszalin (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Szczecinek markiert, aus: Mapa Polski).

Neustettin um 1620 – nach der Lubinschen Karte (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

In der hinterpommerschen Kleinstadt Neustettin lebten in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts nur einige wenige jüdische Familien; zudem war es einigen Juden aus Polen gestattet, zur Abwicklung ihrer Geschäfte sich kurzzeitig in der Stadt aufzuhalten. Für die Gewährung eines dauerhaften Aufenthaltes hatten sich Teile der hiesigen Bürgerschaft ausgesprochen, die sich wirtschaftliche Vorteile vom Verbleib jüdischer Handelsleute in der Stadt versprachen.

Seit 1828 verfügte die Judenschaft der Stadt über einen Synagogenneubau; allerdings durfte die Gemeinde das Gebäude nicht an einem öffentlichen Platze errichten, damit „die zuweilen geräuschvollen gottesdienstlichen Gebräuche des israelitischen Glaubens weder gestört würden noch Störungen veranlaßten.” Die Fachwerksynagoge stand in der Friedrichstraße, gegenüber der damaligen Stadtschule.

Ab 1850 nahm die Zahl der jüdischen Einwohner stark zu. Die jüdischen Bewohner Neustettins mussten sich bereits Mitte des 19.Jahrhunderts mit antisemitischen Attacken auseinandersetzen; so drang z.B. 1863 der Mob in die Synagoge ein und zerstörte zwei Thorarollen. Im Februar 1881 wurde vermutlich das Gotteshaus in Brand gesetzt und zerstört. Aller Wahrscheinlichkeit trug für den Brand der „Krawall“-Antisemit Dr. Ernst Henrici die Verantwortung, der auf einer Versammlung in Neustettin rassistische Propaganda betrieben hatte. Verbitterte Juden bezichtigten die christlichen Fanatiker der Brandstiftung. Im Gegenzug beschuldigten Christen ihre jüdischen Mitbewohner, das eigene Gotteshaus angezündet zu haben. Nachdem behördliche Ermittlungen gegen die Täter fruchtlos verlaufen waren, schloss sich die ermittelnde Staatsanwaltschaft der Meinung der Antisemiten an und erhob 1883 Anklage gegen fünf Angehörige der Neustettiner jüdischen Gemeinde. Es folgte ein aufsehenerregender Sensationsprozess. In diesem Zusammenhang kam es in weiteren Städten Pommerns zu gewalttätigen Demonstrationen und Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung. Zwei Jahre nach der Zerstörung des Synagogengebäudes konnte die Neustettiner Gemeinde Ende September 1883 ihr neues Gotteshaus - einen roten Ziegelsteinbau - einweihen.

 Synagoge rechts (hist. Postkarte, um 1910)

Die „Kösliner Zeitung“ berichtete über die Einweihung am 27.Sept. 1883 wie folgt darüber:

Neustettin, den 25.September: Die Einweihung der hiesigen neu erbauten Synagoge ist heute Nachmittag unter reger Beteiligung fast aller Kreise der Bevölkerung und der städtischen Behörden programmäßig vor sich gegangen, ohne daß, wie wir mit Befriedigung konstatieren wollen, auch nur der leiseste Mißton von außen in die ernste Feier hineingetragen worden wäre. – Unter Voranschritt einer Musikkapelle bewegte sich die Gemeinde im feierlichen Aufzuge von dem bisherigen Betlocal nach der Synagoge. ... Durch den Kämmerer Lössin wurde darauf der Schlüssel dem Erbauer der Synagoge, Baumeister Schreiber, von hier übergeben, welcher nunmehr das Portal mit dem Wunsche öffnete, „daß der unter Gottes Schutz aufgeführte Bau bis in die fernsten Zeiten seinem erhabenen Zweck erhalten bleiben und stets ein Haus des Friedens sein möge“. ... Es begann darauf die eigentliche Feier. ... Die darauf von dem Rabbiner der hiesigen Gemeinde, Dr. Hoffmann, und weiter von dem Rabbiner Dr. Vogelstein gehaltenen Predigten können ihrem Inhalte nach für eine gelten, denn durch beide zieht sich wie ein roter Faden der Gedanke, dass kein Bekenntnis auf Kosten eines anderen das Recht für sich in Anspruch nehmen dürfe, es allein sei von allen das beste. Die Anhänger der einzelnen Glaubenslehren hätten vielmehr die heilige Pflicht, der Gottesanbetung der Andersgläubigen Achtung und Duldung zu zollen ...“

 

Auf dem St. Jürgensberg - auch Scheunenberg genannt - befand sich der jüdische Friedhof; dessen Anlage erfolgte wohl in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts. Eine Zeitlang war es auch der Begräbnisort für Verstorbene aus Bublitz, Köslin, Pollnow, Rummelsburg, Rügenwalde, Schlawe und Zanow.

Juden in Neustettin:

          --- 1718 ..........................  3 jüdische Familien,   

     --- 1731 ..........................  2    "        "    ,

     --- um 1750 .......................  7    “        “    ,

     --- 1812 ..........................  10    “       “    ,

     --- 1840 .......................... 138 Juden,

     --- 1858 .......................... 311   “  ,

     --- 1871 .......................... 400   “  ,

     --- 1880 .......................... 455   “  ,

     --- 1895 .......................... 341   “  ,

     --- 1910 .......................... 215   "  ,

             ..........................  405   “  ,*    * Kreis Neustettin

     --- um 1925 ................... ca. 140   “  ,

     --- 1932/33 ....................... 124   “  ,

     --- 1934 (Juni) ............... ca.  60   “  ,

     --- 1939 (Mai) ..................... 52   “  .

Angaben aus: M.Heitmann/J.H.Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem ganzen Land jedes Verderben ...”, S. 56/57

und                 The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), S. 886

 

Neustettin - artykuły | Szczecinek Nasze MiastoAk Szczecinek Neustettin Pommern, Königstraße

am Markt in Neustettin und Königstraße - hist. Ansichtskarten (aus: akpool.de)

Zahlreiche jüdische Familien in Neustettin wohnten in der Nähe des Marktes (in der Preußischen Straße), wo auch ihre Geschäfte angesiedelt waren.

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in der Kreisstadt ca. 25 jüdische Familien. Ab Mitte der 1930er Jahre wanderten vermehrt jüdische Familien aus Neustettin ab; durch Ausgrenzung und Diskriminierung war ihnen auch in Neustettin die Existenzgrundlage genommen worden.

In der Reichspogromnacht vom November 1938 setzten Nationalsozialisten das Synagogengebäude in Brand; zum Zeitpunkt des Feuers soll das Gelände um die Synagoge abgeriegelt gewesen sein. Auch jüdische Geschäftsinhaber wurden zusammengeschlagen, ihre Geschäfte demoliert und geplündert. Gleichzeitig wurden jüdische Männer im Keller des Rathauses eingesperrt und später abtransportiert.

Alle in Neustettin noch verbliebenen jüdischen Bewohner sollen 1940/1941 deportiert worden sein - vermutlich in die Nähe von Lublin.

Die Synagogenruine wurde 1943 von sowjetischen Kriegsgefangenen niedergelegt.

Der jüdische Friedhof soll Anfang der 1950er Jahre völlig eingeebnet worden sein, nachdem bereits die Grabsteine in den letzten Kriegsjahren abgeräumt und zum Wegebau verwendet wurden.

 

 

 

In Bärwalde (poln. Barwice, derzeit ca. 4.000 Einw.) - westlich von Neustettin gelegen - gab es eine jüdische Kultusgemeinde, die um 1860 mit ca. 180 Angehörigen ihren Höchststand erreichte, nachdem Zuzüge aus den Nachbarprovinzen Westpreußens und Posens erfolgt waren. Erstmals hatten sich jüdische Familien bereits zu Beginn des 18.Jahrhunderts hier angesiedelt.

Antijüdische Krawalle wurden im Sommer 1881 auch in Bärwalde verzeichnet; ausgelöst wurden diese durch die Agitation des Antisemiten Dr. Ernst Henrici, der besonders in den hinterpommerschen Städten aktiv war. In den 1920er Jahren lebten in Bärwalde nur noch wenige jüdische Familien. Die Synagoge in der Buthstraße wurde 1938 in Opfer der Flammen; der jüdische Friedhof - nördlich der Stadt gelegen - hingegen überstand die NS-Zeit relativ unbeschadet; in den 1960er Jahren wurde das Begräbnisgelände eingeebnet.

vgl. Bärwalde (Hinterpommern)

 

 

 

In Ratzebuhr (poln. Okonek, derzeit ca. 4.000 Einw.) – etwa 15 Kilometer südlich von Neustettin gelegen - gab es eine kleine jüdische Gemeinschaft, die um 1860/1870 ca. 100 Angehörigen umfasste; ihre Wurzeln reichen bis in die erste Hälfte des 18.Jahrhunderts zurück.

Der jüdische Friedhof, dessen Anlage inmitten des Ortes vermutlich um 1750 erfolgt war, wurde bereits in den 1890er Jahren geschlossen, die Synagoge bis Ende der 1920er Jahre genutzt und im September 1938 verkauft. Zu dieser Zeit zählte die jüdische Gemeinschaft nur noch knapp 30 Angehörige.

http://www.neustettin.de/media/20080317Ratzebuhr001Ak_515x336.jpgDanziger Straße in Ratzebuhr, um 1925

Obwohl das Synagogengebäude bereits in „arischen“ Händen war, wurde es im November 1938 niedergebrannt. Über das weitere Schicksal der wenigen Juden Ratzebuhrs - im Mai 1939 lebten im Ort nur noch fünf Personen - liegen keine Angaben vor. Sichtbare Relikte jüdischer Geschichte sind in Okonek heute nicht mehr aufzufinden.

 

 

 

In Hammerstein (poln. Czarne, derzeit ca. 6.000 Einw.) im Kreis Schlochau - nur wenige Kilometer östlich von Neustettin gelegen - setzte sich die dortige israelitische Gemeinde im 19.Jahrhundert aus ca. 150 bis 200 Angehörigen zusammen. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine Synagoge und ein eigenes Beerdigungsgelände. 1881 kam es auch in Hammerstein zu antisemitischen Ausschreitungen.

Anfang der 1930er Jahre zählte die jüdische Gemeinde in Hammerstein nur noch etwa 55 Angehörige; sie mussten mitansehen, wie in den Novembertagen von 1938 ihre Geschäfte demoliert und die Synagoge zerstört wurden. Zu Beginn 1940 wurden die wenigen noch verbliebenen Juden verhaftet und in ein Internierungslager nahe Schneidemühl gebracht; von hier wurden sie in die Vernichtungslager deportiert.

 

 

 

In Heinrichsdorf (poln. Siemczyno, derzeit ca. 450 Einw.), einem Dorfe im Kreis Neustettin, ist jüdische Ansiedlung aus der Mitte des 18.Jahrhunderts nachweisbar. Gefördert von der adligen Grundherrschaft lebten um 1775 hier ca. 20 jüdische Familien, die ihren kargen Lebensunterhalt vom Handel mit Schnitt- und Kurzwaren bestritten. Nach 1812 verließen die allermeisten das Dorf; einige ließen sich in Tempelburg nieder. Nördlich des Dorfes befand sich der jüdische Friedhof, der auch Verstorbene aus Warlang und zeitweilig auch aus Falkenburg aufnahm; nach 1815 blieb diese Begräbnisstätte unbenutzt.

 

 

Wie in Heinrichsdorf lebten auch im Dorf Warlang (poln. Warnileg) in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts eine Anzahl jüdischer Familien. Ihre Ansässigkeit, die nicht den preußischen bzw. polnischen Gesetzen unterworfen war, hatte die Grundherrschaft gefördert, um damit ihre Kasse aufzufüllen. Um 1775 sollen hier etwa 25 jüdische Familien gelebt haben. Verstorbene Warlanger Juden wurden auf dem jüdischen Friedhof in Heinrichsdorf begraben. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts hatten bereits die allermeisten Juden das Dorf verlassen.

 

 

 

Weitere Informationen:

Gustav und Hirsch Heinemann, Der Brand der Synagoge in Neustettin. Verhandlungen vor dem Schwurgericht in Konitz, Cöslin 1884

Karl Rosenow, Der Neustettiner Synagogenbrand und die Judenkrawalle 1881, in: "Ostpommersche Heimat", Jg. 1939, Stolp 1939, S. 8 - 15

H.Rogge/F.Stelter, Der Kreis Neustettin. Ein pommersches Heimatbuch, in: "Ostdeutsche Beiträge aus dem Göttinger Arbeitskreis", Band 52, Würzburg 1972, S. 187 f.

M.Heitmann/J.H.Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem ganzen Land jedes Verderben ...” Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich 1995, S. 56/57

Gerd Hoffmann, Der Prozeß um den Brand der Synagoge in Neustettin. Antisemitismus in Deutschland ausgangs des 19.Jahrhunderts, Schifferstadt 1998

Stephen C.J. Nicholls, The Burning of the Synagogue in Neustettin: Ideological Arson in the 1880s. Centre for German-Jewish Studies, Brighton 1999

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (), New York University Press, Washington Square, New York 2001, Vol.1, S. 494 (Hammerstein) und Vol. 2, S. 886 (Neustettin) und S. 1061 (Ratzebuhr)

Wolfgang Wilhelmus, Geschichte der Juden in Pommern, Ingo Koch Verlag, Rostock 2004

Gerhard Salinger, Die einstigen jüdischen Gemeinden Pommerns. Zur Erinnerung und zum Gedenken, New York 2006, Teilband 2, Teil III, S. 313 – 319 (Bärwalde) und Teilband 3, Teil III, S. 565 – 595 (Neustettin), S. 653 – 662 (Ratzebuhr) und S. 870 – 874 (Heinrichsdorf und Warlang)

Szczecinek (Neustettin), in: sztetl.org.pl

Okonec (Ratzebuhr), in: sztetl.org.pl

Czarne (Hammerstein), in: sztetl.org.pl

Siemczyno (Heinrichsdorf), in: sztetl. org.pl

Warnileg (Warlang), in: sztetl.org.pl