Friedberg (Hessen)

Jüdische Gemeinde - Hanau/Main (Hessen)Verlauf Das hessische Friedberg ist eine Stadt mit derzeit ca. 31.000 Einwohnern am nördlichen Rand des Rhein-Main-Gebiets und der Verwaltungssitz des Wetteraukreises (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 mit F. am linken oberen Kartenrand, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und topografische Kartenskizze der Wetterau, aus: wikipedia.org GFDL).

 

Bereits ab ca. 1240 - kurz nach Gründung der Freien Reichsstadt Friedberg - gab es hier eine prosperierende jüdische Gemeinde; durch weiteren Zuzug von Juden aus dem Rheinland gewann sie bald überregionale Bedeutung. Ein Beweis für den Wohlstand der damaligen Gemeinde war die bereits um 1260 erbaute Mikwe. Dieses Frauenbad in der Judengasse - gestiftet von einem zugewanderten Juden aus dem Rheinland - bezog sein Wasser aus einem tiefgegrabenen Schacht, dessen architektonische Ausgestaltung durch hiesige Steinmetze seinesgleichen sucht. Die Mikwe wurde bis ca. 1800 benutzt und ist erhalten geblieben; sie zählt heute zu den bedeutendsten Bauwerken in Friedberg. Das Friedberger Judenbad gilt als das deutschlandweit größte der erhaltenen Mikwen aus dem Mittelalter.

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Mittelalterliche Mikwe Friedbergs (links: hist. Postkarte, um 1905; rechts: Aufn. K. Augustin 2008, Stadtarchiv Friedberg, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Die Juden von Friedberg unterstanden damals dem königlichen Schutz Rudolf von Habsburgs, dem sie hohe Steuerleistungen einbrachten; 1275 wurde dann den Burggrafen von Friedberg das Recht zugestanden, Juden aufzunehmen; dieses Privileg nutzte der neue Schutzherr weidlich aus, indem er „seinen“ Juden hohe finanzielle Belastungen auferlegte. Nach Verfolgungen und Vertreibungen 1337 und 1349/1350 ließ Generationen später der Stadtrat den Zuzug von Juden erneut zu. Gegen Ende des 15.Jahrhunderts lebten bereits wieder vermögende Juden im hessischen Friedberg, die zumeist im weit über die Region hinaus reichenden Darlehens- und Pfandgeschäft tätig waren. In der „Judengasse“ - parallel zur Hauptstraße (heutige Kaiserstraße) verlaufend - konzentrierte sich über lange Jahre jüdisches Leben: Am Ende lag die „Juddenschule“ und das bereits erwähnte „Judenbad“. Um 1600/1620 setzte sich die jüdische Gemeinde aus etwa 500 Personen zusammen; die Judenschaft bildete eine Art ‚politische Gemeinde’ mit eigenen Vorstehern, Marktaufsehern und Torwächtern; sie verfügte über eigene Gerichtsbarkeit, eigenes Schulwesen und ein eigenes Spital. In diesen Jahrzehnten war die Friedberger Judengemeinde eine der größten und bedeutendsten des Reiches. So nahmen Rabbinat und Jeschiwa in Friedberg damals den gleichen Rang ein wie jene in Prag, Frankfurt und Worms. Zudem hatte hier eines der fünf zentralen rabbinischen Appellationsgerichte seinen Standort. Der Friedberger Rabbiner war im 17.Jahrhundert gleichzeitig Vorsitzender der hessischen Judenlandtage, die damals zumeist in Gudensberg bei Fritzlar - später in Wieseck bei Gießen - abgehalten wurden. Die Pflege der jüdischen Wissenschaft und Gelehrsamkeit manifestierte sich in der Gründung einer Jeschiwa, die in enger Verbindung zu jüdischen Gelehrten in Frankfurt stand.

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Machsor-Handschriften aus Friedberg, 16.Jahrhundert (Abb. aus: F. Hallo, Jüdische Kunst aus Hessen und Nassau, Berlin 1933)

Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges lebten ca. 65 jüdische Familien ghettoartig in der dortigen „Judengasse“, die nachts verschlossen war; in den Jahrzehnten nach dem Kriege gab es zeitweise mehr jüdische als christliche Einwohner in der Stadt.

 Ansicht von Friedberg – Stich von M. Merian, 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, CCO)

Das Verhältnis zwischen dem Magistrat der Stadt und der jüdischen Gemeinde war nicht immer spannungsfrei: So gab es etliche Klagen der Friedberger Judenschaft vor dem Kaiserlichen Reichshofrat, bei denen es z.B. um seitens der Stadt zu Unrecht erhobene Steuern (Pfändungen in der Judengasse) ging.

Der Anteil der Juden an der Stadtbevölkerung Friedbergs war auch im 18.Jahrhundert noch relativ hoch; denn den ca. 2.200 christlichen Stadt- und Burgbewohnern standen ca. 470 Juden gegenüber; damit lag der jüdische Bevölkerungsanteil bei mehr als 20%; die "Judengasse", dicht bei der Burg gelegen, war zu diesem Zeitpunkt übervölkert; die dortigen Bewohner lebten zumeist unter erbärmlichen Bedingungen, auch eine Folge des sinkenden Wohlstands der Stadt.

... Die hohen schmale Häuser und deren armselige Besitzer, die oft zu mehreren Haushaltungen ein kleines Zimmerchen bewohnen; die enge schmale Strasen und Winckel, wo die Sonne nur selten frei ihre Strahlen hineinschicken kann, müssen allerdings diesen engen Versammlungsplatz mit Dünsten erfüllen, die häufige, ganz den Juden eigene Krankheiten erzeugen. ...

(aus: Schazmann, Patriotische Gedanken über den Zustand der Juden, vorzüglich der Judenschaft der Reichsstadt Friedberg)

In den letzten Jahrzehnten vor 1900 wurden zum einen „Landjuden“ aus den Dörfern der Wetterau und zum anderen ostpolnische Zuwanderer in Friedberg ansässig. Die osteuropäischen Juden brachten ihre orthodoxe Einstellung, aber auch zionistische Ideen mit, die sich in der Gründung einer eigenen zionistischen Gruppierung manifestierte; mit den alteingesessenen jüdischen Familien gab es nur wenig Berührungspunkte. Viele jüngere Juden verließen Friedberg bald wieder, um sich in deutschen Großstädten wie Frankfurt/M. niederzulassen; so sank in den 1920er Jahren der jüdische Bevölkerungsanteil sichtbar.

Die Synagoge in Friedberg stand seit dem Mittelalter wohl immer an der gleichen Stelle: im Herzen der Altstadt, in der Judengasse 4. Mehrmalige Umbauten - der letzte wurde 1931 vorgenommen - schufen ein Gotteshaus, das über mehr als 300 Plätze verfügte.

                   

                                           Synagoge in Friedberg  (hist. Aufn., P. Arnsberg)              Synagogendiener der Gemeinde (Aufn. um 1900)

In Friedberg gab es ferner eine „Wochentagssynagoge“ im jüdischen Gemeindehaus an der Kaiserstraße. Noch bis ins 19.Jahrhundert hat es in Friedberg jüdische Einrichtungen gegeben, deren Gründung bis ins ausgehende Mittelalter zurückreichten. Zahlreiche jüdische Vereine deuteten auf ein äußerst reges Gemeindeleben der Friedberger Juden hin.

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aus: "Der Israelit" vom 24.April 1884 und "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 11.Aug. 1893

Der älteste, bereits aus dem 13.Jahrhundert stammende jüdische Friedhof in Friedberg befand sich vor dem äußeren Mainzer Tor nahe der Richtstätte. Zu Beginn des 16.Jahrhunderts wurde ein neuer Begräbnisplatz an der ‚inneren’ Mainzer Pforte (Ockstädter Straße) angelegt, der bis in die NS-Zeit benutzt wurde. Von 1934 bis 1939 diente dann ein Gelände auf der Oberwollstädter Höhe als Begräbnisstätte. An den alten Friedhof erinnert heute nichts mehr; die Grabsteine wurden zerstört bzw. zweckentfremdet, das Gelände während der Kriegsjahre von der Stadtverwaltung mit Schutt aufgefüllt.

Juden in Friedberg:

    --- 1612 ..........................  78 (steuernzahlende) Juden,

    --- 1683 ..........................  75 jüdische Familien,

    --- 1729 ..........................  72     "        "   ,

    --- 1788 .......................... 468 Juden (ca. 17% d. Bevölk.),

    --- 1861 .......................... 361   "   (ca. 8% d. Bevölk.),

    --- 1880 .......................... 438   "   (ca. 9% d. Bevölk.),

    --- 1890 .......................... 464   "  ,

    --- 1900 ...................... ca. 400   “  ,

    --- 1905 ...................... ca. 550   “  ,

    --- 1910 .......................... 491   “   (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1925 .......................... 380   “  ,

    --- 1933 (Jan.) ............... ca. 400   “   (ca. 3% d. Bevölk.),

             (Juni) ................... 305   “  ,

    --- 1937 .......................... 160   “  ,

    --- 1938 (Juni) ................... 135   “  ,

    --- 1939 (Mai) .................... 114   “  ,

    --- 1942 (Febr.) ..................  63   "  ,

    --- 1943 ..........................  keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 195

und                 Friedberg, in: alemannia-judaica.de

 Ak Friedberg in Hessen, Kaiserstraße Kaiserstraße in Friedberg (hist. Postkarte, aus: akpool.de) 

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Lehrstellenangebote jüdischer Gewerbetreibender aus den Jahren um 1900/1910

Ende der 1920er Jahre gab es in Friedberg mehr als 50 jüdische Geschäfte und Gewerbetreibende; dabei war die Mehrzahl der größeren Geschäfte des Ortes in jüdischem Besitz. In den letzten Märztagen 1933 begann in Friedberg die erste massive Hetzkampagne gegen Juden, organisiert von dem eigens gegründeten „Aktionskomitee zum Boykott gegen Juden für Stadt und Kreis Friedberg”.

Die Boykott-Aktion der NSDAP in Friedberg

... Heute vormittag um 10 Uhr setzte auch in Friedberg die Abwehraktion der NSDAP gegen die Juden ein. Mehrere von SA-Leuten gebildete Klebekolonnen brachten an den Schaufenstern aller jüdischen Geschäfte, bei Anwälten, Ärzten und Banken Plakate an; die Bevölkerung wird durch diese Inschriften ermahnt, nicht bei Juden, sondern in deutschen Geschäften zu kaufen. Dem gleichen Zweck diente eine andere Kolonne, die mit großen Schildern, welche ebenfalls Inschriften trugen, die vor dem Einkauf bei Juden warnten, durch die Straßen zogen. Auf anderen Zetteln wurde auf eine Massenversammlung hingewiesen, die heute nachmittag in Friedberg stattfinden soll, bei der Gau-Schulungsleiter Trefz sprechen wird. Entsprechend den Anweisungen oder obersten Führung der NSDAP vollzog sich die ganze Aktion in mustergültiger Ruhe und Ordnung; es kam nirgends zu irgendwelchen Zwischenfällen.

(aus der Lokalpresse vom 1.4.1933)

Allerdings soll diese erste offizielle ‚Aktion’ bei der Friedberger Bevölkerung wenig Resonanz gefunden haben. Bei antijüdischen Kampagnen soll auch der „Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes” in Friedberg eine Rolle gespielt haben; er wollte die Konkurrenz der jüdischen Geschäftsleute ausschalten, was ihm auch gelang: Ende 1936 gab nur noch zwölf Gewerbetreibende jüdischen Glaubens. Bereits vor der „Reichskristallnacht“ war es in Friedberg zu vereinzelten Ausschreitungen gegen jüdische Bürger gekommen; zu einer Eskalation kam es dann in den Novembertagen 1938. Neben der Zerstörung der Synagoge durch ortsansässige SA-Angehörige - das Gebäude wurde am folgenden Tage für baufällig erklärt und 1939 vollständig abgetragen - wurden auch Wohnungen und Geschäfte von Juden verwüstet. 43 Friedberger Juden wurden festgenommen und in die KZ Dachau bzw. Buchenwald eingeliefert.

Kundgebungen gegen die Juden

.... Wie im ganzen Reich löste dann das furchtbare jüdische Verbrechen an einem deutschen Diplomaten auch im Kreise Friedberg judenfeindliche Kundgebungen aus, in denen sich die helle Empörung der deutschen Volksgenossen Luft machte. Um die Mittagsstunde des gestrigen Tages kam es in Friedberg zu gewaltigen Demonstrationen, die davon zeugten, wie tief der Groll gegen die Juden sitzt. In der Synagoge, in der sich widerlicher Geschäftsgeist typischer Nichtstuer, Scheinheiligkeit und Verschlagenheit so oft die Hand reichten,entstand ein Brand, der von der Feuerwehr lokalisiert wurde. Trotz der Gründlichkeit der Antwort des Volkes an das Judentum ... kam es zu keinerlei Angriffen persönlicher Natur. Die Demonstrationen erreichten mit dem Aufruf des Reichspropagandaministers ihr Ende.

(aus: „Oberhessischer Anzeiger”, 11.11.1938)

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20153/Friedberg%20Judenbad%20175.jpg "Judengasse" mit Blick auf Synagoge kurz vor dem Abbruch (Stadtarchiv)

Im Mai 1939 lebten in Friedberg nur noch 114 Juden. 1939/1940 wurden die noch in Friedberg verbliebenen Juden in wenigen „Judenhäusern“ einquartiert; Mitte September 1942 wurden die Betroffenen vom Sammelplatz, der Turnhalle der Augustinerschule, nach Theresienstadt bzw. in die Vernichtungslager im besetzten Polen deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden mehr als 130 gebürtige bzw. längere Zeit ansässig gewesene Friedberger Juden Opfer der NS-Verfolgung; die meisten gelten als „‚verschollen(namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/friedberg_synagoge.htm).

 

Eine neue jüdische Gemeinde in Friedberg bildete sich nach 1945 nicht wieder.

Der alte jüdische Friedhof an der Ockstädter Straße - er hatte von 1523 bis 1934 als Begräbnisplatz gedient - war in der Zeit des Nationalsozialismus geschändet und in den ersten Monaten des Jahres 1945 durch Bomben zerstört worden. Neben vier noch erhaltenen Grabsteinen erinnert heute noch eine Gedenktafel an diese über Jahrhunderte hinweg genutzte Begräbnisstätte.

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 Vier alte Grabsteine und Gedenktafel (beide Aufn. Ch., 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auf dem neuen jüdischen Friedhof an der Frankfurter Straße (Ober-Wöllstädter Höhe) findet man heute 13 Grabmale, die aus den 1930er Jahren stammen.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20153/Friedberg%20Friedhof%20n264.jpgJüdischer Friedhof Frankfurter Straße (Friedberg) 06.JPG

Jüdischer Friedhof Frankfurter Straße (Aufn. Ch., 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0) 

Das „Judenbad“ in Friedberg – es zählt zu den bedeutendsten baulichen Zeugnissen mittelalterlichen jüdischen Gemeindelebens in Mitteleuropa – befindet sich unterhalb eines Innenhofes eines 1903 erbauten Gebäudes in der früheren „Judengasse“. Über ca. 70 Stufen führt eine Treppe in eine Tiefe von 24 Metern, wobei kunstvoll gestaltete Säulen die Schachtanlage schmücken.

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Abgang zur Grundwasser-Mikwe (Aufn. Th. Petrasch, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Eine Gedenktafel am Gebäude des Ende der 1950er Jahre restaurierten „Judenbades“ erinnert mit der folgenden Inschrift an die Novembertage 1938:

Die Synagoge der Friedberger Jüdischen Gemeinde wurde am 9.11.1938

in der Zeit der tiefsten Selbsterniedrigung des deutschen Volkes

in unmenschlichem Haß und Verblendung geschändet, angezündet, danach für baufällig erklärt und beseitigt.

Diese Tafel gelte als besinnende Erinnerung und Mahnung für zukünftige Geschlechter.

Die Liebe besiege den Haß.

Auf einer zweiten Gedenktafel sind die Namen der 21 Juden von Friedberg verzeichnet, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind.

Zum 50. Jahrestag der Deportationen wurde eine Gedenktafel am Synagogenplatz angebracht „Zum Gedenken an das Leid und Sterben der jüdischen Bürger Friedbergs in den Jahren 1933 bis 1945“ mit den Namen von 70 Ermordeten angebracht. Mitte der 1990er Jahre gestaltete die Kommune den Synagogenplatz zu einer Gedenkstätte um, nachdem zuvor das Gelände als Kinderspielplatz benutzt worden war. Die Inschrift einer hier 1996 angebrachten Informationstafel lautet:

An dieser Stelle stand - vermutlich seit 1241, als erstmals eine jüdische Gemeinde in Friedberg nachweisbar ist - die Synagoge. Judengasse und Judenplacken, die seit Jahrhunderten den früheren Ghettobereich markierten, treffen hier zusammen. Nur die äußere Gestalt der Synagoge ist aus der Zeit vor der Zerstörung 1938/39 bekannt. 
Im Anschluss an die „Reichspogromnacht“ kam es in den Mittagsstunden des 10. November 1938 zu massiven Gewaltakten und Übergriffen auf die jüdischen Bürger der Stadt. Friedberger Bürger - Angehörige der SA, Geschäftsleute, Jugendliche und Kinder aus Hitlerjugend und Jungvolk prügelten Juden durch die Straßen, stürmten und plünderten deren Wohnungen und Läden, verwüsteten die Synagoge und steckten sie in Brand. Große Teile der Bevölkerung und die Polizei schauten diesem Pogrom tatenlos zu. Manche feuerten die Brandstifter auch an. Wegen angeblicher Baufälligkeit wurde die Synagoge 1939 abgebrochen. 
Allein die Westwand der Synagoge blieb erhalten. An ihr erinnert seit 1992 eine Tafel an die mehr als siebzig jüdischen Frauen, Männer und Kinder aus Friedberg und der Wetterau, die am 15. September 1942 und noch kurz vor Kriegsende in die Vernichtungslager deportiert wurden. 
40 Jahre nach der Zerstörung der Synagoge wurde 1979 an dieser Stelle erstmals eine Gedenktafel angebracht. Auch für die heutige Gestaltung dieses Platzes hat Gültigkeit, was auf ihr zu lesen war: "DIESER PLATZ GELTE ALS BESINNENDE ERINNERUNG UND BILDENDE MAHNUNG FÜR ZUKÜNFTIGE GESCHLECHTER".

Magistrat und Stadtverordnetenversammlung der Stadt Friedberg. 10. November 1996." 

 

Eine Gedenktafel an der Augustinerschule erinnert an die aus Friedberg deportierten Juden; in der dortigen Turnhalle verbrachten die zur Deportation bestimmten Juden ihre letzte Nacht vor ihrer "Abfahrt in den Osten".

Der Kulturausschuss der Kreisstadt hat 2015 einstimmig dafür votiert, in den Straßen Friedbergs keine sog. „Stolpersteine“ zu verlegen; vielmehr will man „auf andere Weise“ (?) die Erinnerung an Opfer der NS-Gewaltherrschaft wach halten.

 

 

In Beienheim (früher: Beyenheim) - seit 1972 Ortsteil der Stadt Reichelsheim/Wetterau - lebten stets nur wenige jüdische Familien; trotzdem bildeten sie hier eine autonome Gemeinde. Die Anlage eines Friedhofs erfolgte gegen Mitte des 19.Jahrhunderts. Zur Abhaltung ihrer Gottesdienste waren sie aber oft auf die Anwesenheit auswärtiger Juden angewiesen war. Um 1900 lebten vier jüdische Familien im Ort. In einem der von einer jüdischen Familie bewohnten Haus gab es einen Betsaal, der bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges regelmäßig genutzt wurde. Gegen Ende der 1920er Jahre schlossen sich die Juden Beienheims der Kultusgemeinde Friedberg an.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden sechs gebürtige Beienheimer Juden Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/beienheim_synagoge.htm). Nur eine mit einem „arischen“ Mann verheiratete Jüdin überlebte die NS-Zeit in Beienheim.

Auf dem ca. 600 m² großen jüdischen Begräbnisgelände Pfählergasse/Hainpfad („An der Wüstengasse“) befinden sich 17 Grabsteine.

Jüdischer Friedhof in Beienheim (Aufn. U., 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

 

In Ober-Rosbach – ein Stadtteil von Rosbach v.d.Höhe, etwa zehn Kilometer südwestlich von Friedberg – erinnert seit Jahren ein unscheinbarer Gedenkstein mit -tafel auf dem ehemaligen jüdischen Friedhofsareal auf dem Kirschenberg daran, dass im Ort einst einige wenige Familien mosaischen Glaubens gelebt haben; die ehemals hier befindlichen wenigen Grabsteine sind „verschollen“.

Vermutlich hatte sich die kleine jüdische Gemeinde bereits gegen Ende des 19.Jahrhunderts aufgelöst.

älterer Gedenkstein mit -tafel (Aufn. Karsten Ratzke, 2017, aus: wikipedia.org CCO)

Jüngst wurde auf dem Gelände ein dreiteiliges Gedenkstein-Ensemble aus rotem Sandstein - entworfen vom Obertshausener Bildhauer Christoph Schindler - errichtet, das neben den Namen der jüdischen Familien an die Lokalhistorie der nur aus wenigen Familien bestandenen mosaischen Gemeinschaft erinnert.

 

 

Weitere Informationen:

Schazmann, Patriotische Gedanken über den Zustand der Juden, vorzüglich der Judenschaft der Reichsstadt Friedberg, Burg Friedberg 1788

Philipp Dieffenbach, Geschichte der Stadt und Burg Friedberg in der Wetterau, Darmstadt 1857, S. 307 ff.

L. Löwenstein, Zur Geschichte der Juden in Friedberg, in: "Blätter für jüdische Literatur und Geschichte", 4.Jg. No. 2/1903

E. Hirsch, Das Judenbad zu Friedberg i.H., in: Ferdinand Dreher, Führer durch Friedberg i.H., Friedberg 1925, S. 79 f.

Ferdinand Dreher, Der Friedberger Judenfriedhof an der Kreisstraße nach Ockstadt, in: Beilage des "Hessischen Anzeigers" vom 30.10.1930

Rosy Bodenheimer, Beitrag zur Geschichte der Juden in Oberhessen von ihrer frühesten Erwähnung bis zur Emanzipation, Dissertation, Philosophische Fakultät der Universität Gießen, Gießen 1931, S. 37 f.

Rudolf Hallo, Jüdische Kunst aus Hessen und Nassau, Berlin 1933 (Anm. mehrere Abb. zu Friedberger Judaica)

F. H. Herrmann, Zur Geschichte der Friedberger Juden, in: "Wetterauer Geschichtsblätter", Band 2/1953, S. 106 f.

Wilhelm H.Braun, Die Altertümer der jüdischen Gemeinde in Friedberg, in: "Wetterauer Geschichtsblätter", Band 11/1962, S. 81 - 84

Konrad Schilling (Hrg.), Monumenta Judaica - 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein – Katalog. Eine Ausstellung im Kölnischen Stadtmuseum Okt. 1963/März 1964, 3. Aufl., Köln 1963, Abb. 64

Bernhard Brilling, Aus dem Archiv der jüdischen Gemeinde Friedberg, in: "Wetterauer Geschichtsblätter", Band 14/1965, S. 97 - 103

Fritz H. Herrmann, Aus der Geschichte der Friedberger Judengemeinde, in: "Wetterauer Geschichtsblätter", Band 16/1967, S. 51 – 78

Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 260 – 263 und Band III/1, Tübingen 1987, S. 407 - 413

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 59/60 und S. 195 - 212

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 55 - 60

Fritz H. Herrmann, Judentaufen in Burg-Friedberg, in: "Wetterauer Geschichtsblätter", Band 30/1981, S. 63 - 68

Hans-Helmut Hoos, Zur Geschichte der Friedberger Juden 1933 - 1942, in: "Wetterauer Geschichtsblätter - Beiträge zur Geschichte und Landeskunde", Beiheft 1, Hrg. Michael Keller im Auftrage des Stadtarchivs Friedberg, Friedberg 1984, S. 37 – 104

Hans-Helmut Hoos, Im Vordergrund stand immer das Sichtbare, in: Sonderdruck der "Wetterauer Geschichtsblätter", Band 38/1988

Hans-Helmut Hoos, Henry Buxbaum - Lebenserinnerungen eines Wetterauer Juden – Studien und Erinnerungen zur Geschichte der Wetterau zwischen Machtergreifung und Wiederaufbau,  Hrg. Michael Keller im Auftrag des Friedberger Geschichtsvereins, 1994

Thea Altaras, Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen – Was geschah seit 1945?, Teil II. Königstein i. Ts. 1994, S. 149 f.

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 320/321 (Friedberg) und S. 332 (Beienheim)

Peter Hirsch/Billie Ann Lopez, Reiseführer durch das jüdische Deutschland, Verlag Roman Kovar, München 1995, S. 113/114

Cilli Kasper-Holtkotte, Kehilat Friedberg - Jüdisches Leben in Friedberg (16. - 18.Jahrhundert), in: Andreas Gotzmann (Hrg.), Kehilat Friedberg (Band 1), "Wetterauer Geschichtsblätter",  Band 50/2003

Stefan Litt, Protokollbuch und Statuten der Jüdischen Gemeinde Friedberg (16. - 18.Jahrhundert), in: Andreas Gotzmann (Hrg.), Kehilat Friedberg (Band 2), "Wetterauer Geschichtsblätter", Band 51/2003

Hans Wolf/Johannes Kögler, Kirchen und Synagogen in der Dörfern der Wetterau, in: "Wetterauer Geschichtsblätter", Band 53/2004

Elmar Altwasser, Die Erforschung von mittelalterlichen Synagogen in Hessen, in: "Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters", Band 33, Köln 2005, S. 63 – 68

Magistrat der Stadt Friedberg (Hrg.), Das Friedberger Judenbad – Prospekt, Friedberg 2005

Monia Kingreen, Das Judenbad und die Judengasse in Friedberg, in: "Wetterauer Geschichtsblätter“, Band 56/2007

Monica Kingreen, Das Judenbad und die Judengasse in Friedberg - Ein Mikrokosmos jüdischen Lebens und deutsch-jüdischer Geschichte von mehr als 750 Jahren, in: "Wetterauer Geschichtsblätter", Band 56/2007, Friedberg 2008

Monica Kingreen, Die Geschichte der monumentalen Mikwe aus dem Jahre 1260 und ein Überblick zu 700 Jahre jüdisches Leben in der Judengasse Friedberg/Hessen, Friedberg 2008

Fragmente jüdischer Geschichte in Friedberg – Ausstellung im Wetterau-Museum Friedberg (Hessen) 2008/2009

Hans-Helmut Hoos, Kehillah Kedoschah – Spurensuche. Geschichte der jüdischen Gemeinde in Friedberg, Peter Lang Verlag, 2. neuüberarb. Aufl., Frankfurt/M. 2009 (Erstauflage 2002)

Friedberg mit Sonderseite 'Mikwe in Friedberg', in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Bild- u. Textdokumenten zur Historie der jüdischen Gemeinde)

Hanno Müller/Helma Kilian/Monica Kingreen (Bearb.), Juden in Münzenberg 1800-1842, Gambach 1750-1942, Fauerbach II 1800-1874, Fernwald 2014

N.N. (Red.), Friedberg: Keine Stolpersteine – Ausschuss lehnt Antrag ab, in: „Wetterauer Zeitung“ vom 28.1.2015

Jürgen Wagner (Red.), Deportation. Hoos: Gedenkveranstaltungen sind nicht mehr zeitgemäß, in: „Wetterauer Zeitung“ vom 17.9.2017

Hanno Müller, Juden in Friedberg, hrg. von der Ernst-Ludwig Chambré Stiftung in Lich, Neustadt a.d.Aisch 2018

Stefanie Fuchs (Bearb.), Die Friedberger Mikwe - Ort eines jüdischen Rituals und Verbindungspunkt für Juden und Christen, in: sharedhistoryproject.org/essay (Febr. 2021)

Johannes Kögler (Hrg), Lebendiges Wasser: Beiträge zur Mikwe Friedberg (Hessen), Friedberg 2021

Petra Ihm-Fahle (Red.), „Jüdisches Leben würde blühen“, in: „Frankfurter Neue Presse“ vom 5.4.2022 (betr. Ausstellung ‚Jüdisches Leben in der Wetterau‘)

Bruno Rieb (Red.), Jüdisches Leben – Einst in Ober-Rosbach, in: „Der neue Landbote“ vom 10.1.2023

Edelgard Halaczinsky (Red.), Rosbach. Zeichen gegen das Vergessen, in: „Frankfurter Neue Presse“ vom 10.5.2023

Edelgard Halaczinsky (Red.), Auseinandersetzung um neuen Gedenkstein auf jüdischem Friedhof, in: „Frankfurter Neue Presse“ vom 5.7.2023