Bork - Selm (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Selm in UN 2011.svg Bork ist ein heute von ca. 7.500 Personen bewohnter Ortsteil der im südlichen Münsterland gelegenen nordrhein-westfälischen Stadt Selm im Kreis Unna - zwischen Münster im N und Dortmund im S (Kartenskizzen 'Kreis Unna', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und 'Ortsteile von Selm').

 

Die jüdische Kultusgemeinde Bork - ihr gehörten auch die jüdischen Familien aus Selm an - zählte als Filialgemeinde zur Synagogengemeinde Olfen; ab 1920 war Lüdinghausen die Hauptgemeinde. Wann eine erste Ansiedlung jüdischer Familien in Bork bzw. Selm stattgefunden hat, ist unklar; erste schriftliche Hinweise datieren aus dem ausgehenden 18.Jahrhundert: 1773 erhielten die beiden Juden Melcher Moyses und Moyses Levi Geleitbriefe; weitere Erwähnungen von Juden in Selm finden sich in Rechnungen aus dem letzten Viertel des 18.Jahrhunderts. 

In Registern der jüdischen Kultusgemeinde Bork sind Geburten von jüdischen Kindern ab 1801 nachweisbar. In der Dorfchronik des Lehrers Didon aus dem Jahre 1852 ist über die hiesigen Juden zu lesen: „... Die Anzahl derselben beläuft sich auf 61 in 10 Familien oder vielmehr Haushaltungen. Alle Juden sind ohne Ausnahme Handelsleute. Sie handeln vorzüglich mit Vieh- und Manufakturwaren. Korn und Holzhandel wird in der Regel nicht betrieben. ... Übrigens kann nach meiner Meinung und nach Meinung vieler die hiesige Judenschaft als eine ruhige und friedliebende Körperschaft betrachtet werden, wenn auch hier und da eine Ausnahme stattfindet. Die Mäßigkeit im Trinken des hitzigen Getränks, als Wein, Bier und Branntwein ist auffallend. Ich habe wenigstens von meiner Kindheit an nie einen betrunkenen Israeliten gesehen. ...”

Die Borker Synagoge ist erstmals im beginnenden 19.Jahrhundert erwähnt, ihr Alter lässt sich aber nicht genau datieren. Ebenso kann nicht festgestellt werden, ob der einfache Bau eigens als Synagoge errichtet oder ein bereits bestehendes Haus gekauft und umgebaut worden ist. Aus einer Beschreibung der Synagoge: „ ... Es war ein schlichtes Gotteshaus. ... Das gewölbte Synagogendach war einem Himmel gleich blau ausgemalt, auf dem goldene Sterne glänzten. Eine hölzerne Treppe führte rauf zur Frauenempore. An der östlichen Wand war der Toraschrein untergebracht. ...” Zwischen 1821 und 1899 war Bork Standort einer eigenen kleinen Schule; danach wurden die jüdischen Kinder den öffentlichen Schulen zugewiesen.

Der jüdische Friedhof Selm-Bork - auf halbem Wege zwischen beiden Orten gelegen - wurde um die Mitte des 19.Jahrhunderts angelegt.

Juden in Bork (und Selm):

         --- um 1770 ........................   2 jüdische Familien,

--- 1805 ...........................  11 Juden, (3)*   * nur in Selm

    --- 1827 ...........................  49   “  , (9)*

    --- 1847 ...........................  63   “  , (5)*

    --- 1852 ...........................  61   “  , (5)*

    --- 1858 ...........................  58   "  , (5)*

    --- 1867 ...........................  39   “  ,

    --- 1871 ...........................  33   "  ,

    --- 1890 ...........................  49   “  ,

    --- 1895 ...........................  46   "  ,

    --- 1917 ...........................  42   “  , (14)*

    --- 1924 ...........................  36   “  , (21)*

    --- 1933 ...........................  29   “  , (9)*

    --- 1935 ...........................  26   “  , (10)*

    --- 1940 ...........................   ?   “  .

Angaben aus: Juden in Selm, Bork und Cappenberg, Teil III

und                  H. Cymontkowski (Bearb.), Selm-Bork, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe, S. 727

 

Antijüdische "Tumulte" waren im Revolutionsjahr 1848 hier zu verzeichnen, als in diesem Zusammenhang an vier Häusern jüdischer Kaufleute in Bork Schäden angerichtet wurden; auch in Selm waren Übergriffe zu verzeichnen.

Bis in die Zeit der Weimarer Republik hinein lebten die hiesigen Juden ausnahmslos vom Handel, und zwar mit Textilien und Nutz- und Schlachtvieh. Am 1.April 1933 fand auch in Bork der Boykott jüdischer Läden statt. Zeitweise waren SA-Angehörige und Hitlerjungen vor den Geschäften postiert, um die Käufer namentlich zu identifizieren und der lokalen Parteileitung zu melden. In den Folgejahren wurde die Ausgrenzung der jüdischen Bewohner ausgeweitet.

                 Aus einem Sitzungsprotokoll des Borker Gemeinderates vom 15.8.1935:

“ ... Der Bürgermeister fasst unter Zustimmung aller Anwesenden folgende Entschließung, die mit der Unterschrift aller örtlichen Behörden- und Parteistellen versehen überall in der Gemeinde zum öffentlichen Aushang gebracht werden soll:

Der Zuzug von Juden ist nicht erwünscht. Handwerker, Geschäftsleute, Bauern und sonstige Volksgenossen, die noch mit Juden Kontakt pflegen, werden von Lieferungen für die Gemeinde sowie von Gemeindearbeiten ausgeschlossen. Die Inanspruchnahme jüdischer Ärzte und Rechtsanwälte sowie das Kaufen bei Juden wird als Verrat am Volk angesehen.

 

Über etwaige Vorgänge in der „Reichskristallnacht“ liegen im Stadtarchiv Selm keine/wenige Unterlagen vor. Auch in der „Lüdinghauser Zeitung” fehlen Berichte über antisemitische „Aktionen“. Zeitzeugen berichteten aber über Plünderung und Zerstörung von Borker und Selmer Geschäften jüdischer Inhaber. Nach 1938 gab es in beiden Orten keine jüdischen Geschäfte mehr. Auch das Innere der Synagoge soll demoliert und ausgeplündert worden sein, obwohl das Gebäude von der Kultusgemeinde bereits veräußert worden war. Nach dem Verkauf des Synagogengebäudes an einen Borker Kohlenhändler wurde das Haus als Lagerraum für Brennstoffe genutzt. Ob auch der jüdische Friedhof verwüstet oder zerstört wurde, lässt sich mit den vorliegenden Unterlagen nicht belegen.

Behördliche Reglementierungen schränkten in der Folgezeit das jüdische Leben im Ort noch weiter ein: den Viehhändlern wurde ihr Gewerbe verboten und jüdischen Käufern ein Betreten des Wochenmarktes untersagt. Die elf in Bork lebenden Juden wurden „Judenhaus“ von Gustav Weinberg (Altenbork 130) zusammengelegt.

Die wenigen Juden Borks und Selms wurden - über die Zwischenstation Dortmund bzw. Münster - im Laufe des Jahres 1941/1942 „in den Osten“ deportiert - ins Ghetto Riga bzw. nach Theresienstadt. Die meisten von ihnen sind dann in den Ghettos und Vernichtungslagern ums Leben gekommen.

 

Die ehemalige Synagoge Bork gehört zu den wenigen noch existierenden Landsynagogen im Münsterland, deren äußeres Erscheinungsbild die Zeiten fast unverändert überstanden hat. Im Zuge der Renovierungsarbeiten am Gebäude, das bis 1981 als Lagerraum genutzt, danach zum Abriss freigegeben und dann von der Stadt Selm angekauft wurde, entdeckte man 1992 auf dem Dachboden fünf alte jüdische Gebetbücher. Im Jahre 1994 wurde das restaurierte Gebäude als „Kulturstätte mit mahnenden und erinnernden Charakter“ der Öffentlichkeit übergeben. Derzeit werden die Räumlichkeiten vorwiegend von Vereinen mit kulturellen Anliegen genutzt.

     Selm Monument 01 Synagoge Bork 1662.jpg

Dorfsynagoge Selm-Bork (Aufn. W. Strickling, 2019 , aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Seit 2000 kommt eine Gruppe von Jüdinnen und Juden aus dem Münsterland und östlichen Ruhrgebiet einmal im Monat zum Gottesdienst zusammen, der nach liberalen Ritus abgehalten wird. Im Frühjahr 2004 gründete die Gruppe den Verein „Etz Ami - Jüdische liberale Jüdinnen und Juden e.V.“. Die Nutzung der Synagoge durch die liberale Gemeinde erfolgte bis ca. 2010.

Etwa zehn sog. „Stolpersteine“ - in Erinnerung an ehemalige jüdische Bewohner - sind in den Gehwegen von Selm und Bork verlegt.

  verlegt in der Bahnhofstraße

Hauptstraße  (Aufn. T., 2015 aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

Der jüdische Friedhof in Bork, dessen Anlage vermutlich in den 1860er Jahren erfolgte, wurde in den 1950er Jahren instandgesetzt; auf dem ca. 700 m² großen Gelände befinden sich heute noch ca. 40 Grabsteine.

Jüdischer Friedhof Bork (Aufn. W.Strickling, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auf dem Gelände informiert ein Gedenkstein mit folgender Inschrift:

JÜDISCHER FRIEDHOF – Begräbnisstätte der früheren Kultusgemeinde Bork-Selm

Von den noch vorhandenen 38 Grabsteinen mit tlw. hebräischen Inschriften datiert der älteste aus dem Jahre 1864. Die letzten Bestattungen haben Anfang der 1930er Jahre stattgefunden.

 

 

Weitere Informationen:

Heidelore Fertig-Möller (Bearb.), Juden in Werne, in: "Westfälische Kulturgeschichte", Heft 4, Hrg. Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Landesbildstelle Westfalen, Münster 1985, S. 20 - 22

Juden in Selm, Bork und Cappenberg, Hrg. Arbeitsplatz Kunst, Selm und Stadt Selm 1990 (drei Teile)

Fritz Walter, Das Judentum im Amte Bork - Heimatgeschichtliche Untersuchung Bork 1937, in: Juden in Selm, Bork und Cappenberg, Hrg. Arbeitsplatz Kunst, Selm und Stadt Selm 1990, III. Teil (Anm. stark NS-gefärbte Darstellung !)

Michael Kertelge, Die Bergarbeitergemeinde St.Josef in Selm-Beifang - Ein lokales katholisches Milieu 1933 - 1945 - Ein Beitrag zur Geschichte des Nationalsozialismus in Selm, Hrg. Archiv der Stadt Selm, Selm 1995, S. 60 ff.

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Nordrhein-Westfalen, Hrg. Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NW e.V., 4.Aufl., Düsseldorf 1998, S. 126/127

G. Birkmann/H. Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen u. Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 125/126

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 69/70

Franz-Josef Schnieder, Handwerk, Handel und Gewerbe in Bork an der Lippe: ein Beitrag zur Ortsgeschichte von 1815 bis 1980, in: "Schriftenreihe des Stadtarchivs Selm", 1999

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen - Regierungsbezirk Arnsberg, J.P.Bachem Verlag, Köln 2005, S. 650 - 657

Die Landsynagoge in Selm-Bork: Jüdische Geschichte im Spiegel einer Synagoge, in: joods-leven.net

Heinz Cymontkowski (Bearb.), Selm-Bork, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Ardey-Verlag Münster 2016, S. 723 - 730

N.N. (Red.), So sieht es in der Synagoge in Bork aus - Bildergalerie, in: “Ruhr-Nachrichten” vom 9.12.2016

Auflistung der Stolpersteine in Selm, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Selm

Marie Rademacher (Red.), Glaubensstätte, Kohlelager, kurz vor dem Abriss – Die Geschichte der Alten Synagoge in Bork, in: “Halterner Zeitung” vom 26.12.2022